Besuch von Papst Franziskus in Marseille am 22. und 23. September 2023

Quelle: FSSPX Aktuell

Notre-Dame de la Garde

„Mittelmeer, Mosaik der Hoffnung“ – Unter diesem Motto der Mittelmeergespräche 2023 besuchte Papst Franziskus am 22. und 23. September 2023 Marseille. Die Gründung der alten Phönizier in der das dritte dieser Treffen stattfand, war auch eine weitere Etappe auf den Reisen von Franziskus rund um den Mittelmeerraum, um eine „Theologie des Mittelmeers“ zu etablieren. 

„Die Theologie, besonders im mediterranen Kontext, ist dazu berufen, eine Theologie der Aufnahme und des Dialogs zu sein“, erklärte er am 21. Juni 2019 in Neapel. Eine Botschaft, die von der Geographie, der Geschichte und den Kulturen des Mittelmeerraums inspiriert ist und dazu verführt, eher gastliche Aufnahme, Zuhören und Barmherzigkeit als Abschottung zu leben? 

Dies ist in der Tat die Mission, die sich das Institut de Sciences et Théologie des Religions (ISTR), das innerhalb des Institut Catholique de la Méditerranée in Marseille entstanden ist, auf die Fahnen geschrieben hat. Das ISTR wurde im Oktober 1992 auf Initiative von Kardinal Robert Coffy, Erzbischof von Marseille (1985-1995), von Pater Jean-Marc Aveline gegründet. Dieser ist heute Kardinal-Erzbischof von Marseille. 

Bei seiner Ankunft in Marseille am Freitag, den 22. September, begab sich der Pontifex in die Basilika Notre-Dame de la Garde, um mit dem Diözesanklerus, fast 200 Priestern, Diakonen, Seminaristen und geweihten Personen, zusammenzutreffen. 

Nachdem er Notre-Dame de la Garde „die Früchte der Mittelmeertreffen“ anvertraut hatte, betonte er, wie sehr diese „Gute Mutter für jeden die Verursacherin einer zärtlichen „Kreuzung der Blicke“ ist: einerseits derjenigen von Jesus, auf den sie uns immer hinweist, (...) und andererseits diejenigen vieler Männern und Frauen jeden Alters und jeder Lebenslage, die sie zusammenbringt und zu Gott führt.“ 

„An dieser Kreuzung der Völker, die Marseille ist“, entwickelte der Papst eine Reflexion über diese „Kreuzung der Blicke“, die „die marianische Dimension des priesterlichen Dienstes“ ausdrückt. Im ersten Fall, den Blick Jesu zu zeigen, „sind wir Werkzeuge der Barmherzigkeit“, im zweiten Fall, „den Blick unserer Brüder zu Jesus zu bringen“, Werkzeuge der Fürbitte. 

Franziskus hält es für richtig, „dies zu tun, indem wir immer und immer wieder großzügig Vergebung spenden, um die Menschen durch die Gnade von den Fesseln der Sünde zu befreien und sie von Blockaden, Gewissensbissen, Groll und Ängsten zu befreien, die sie nicht allein überwinden können“, um im Namen Gottes unerwartete Hoffnungen zu vermitteln. 

„Seine Nähe, die tröstet, sein Mitgefühl, das heilt, seine Zärtlichkeit, die bewegt (...) Seid jedem nahe, vor allem den Schwächsten und den weniger Glücklichen, und lasst niemals zu, dass es den Leidenden an eurer aufmerksamen und diskreten Nähe fehlt“, ermutigte er. Und er schloss: „Wir werden in dem Maße zu einem lebendigen Evangelium, in dem wir es weitergeben, indem wir aus uns selbst herausgehen und sein Licht und seine Schönheit durch ein demütiges, freudiges und an apostolischem Eifer reiches Leben widerspiegeln. Mögen uns dabei die so zahlreichen Missionare helfen, die von diesem hohen Ort aufgebrochen sind, um der ganzen Welt die frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkünden.“ 

„Gläubige, wir müssen beispielhaft sein in der gegenseitigen und brüderlichen Aufnahme“ 

Der Pontifex begab sich anschließend im Rollstuhl auf den angrenzenden Platz mit Blick auf das Mittelmeer. Vor der Skulptur, die 2008 zum Gedenken an die auf See Verschollenen errichtet wurde – ein herzförmiger Anker mit einem Kreuz darauf – hielt er, umgeben von Vertretern der verschiedenen Religionen, eine Andacht. Kardinal Jean-Marc Aveline, Erzbischof von Marseille, prangerte die Verbrechen im Mittelmeer an, wo „Männer, Frauen und Kinder“ „von unehrlichen Schleppern ihres Besitzes beraubt werden, die sie zum Tode verurteilen, indem sie sie auf alte und gefährliche Boote bringen.“ 

In seiner Ansprache forderte Franziskus dazu auf, „beispielhaft in der gegenseitigen und brüderlichen Aufnahme“ zu sein, ein bevorzugtes Thema seines Pontifikats. „Wir haben uns im Gedenken an diejenigen versammelt, die nicht überlebt haben, die nicht gerettet wurden. (...) So ist dieses wunderschöne Meer zu einem riesigen Friedhof geworden, auf dem vielen Brüdern und Schwestern sogar das Recht auf ein Grab verweigert wird, und auf dem nur die Menschenwürde begraben ist“, kritisierte er. „Die Gleichgültigkeit wird fanatisch. Menschen, die zu ertrinken drohen, wenn sie in den Fluten zurückgelassen werden, müssen gerettet werden. Das ist eine Pflicht der Menschlichkeit, es ist eine Pflicht der Zivilisation!“ 

Er bedankte sich bei den Vereinen an seiner Seite für ihr solidarisches Engagement: „Marseille ist ein Modell der Integration. Es ist schön, dass es hier mit verschiedenen Projekten, die mit Migranten arbeiten, Marseille-Espérance gibt, eine Instanz für den interreligiösen Dialog, die Brüderlichkeit und friedliche Koexistenz fördert.“ Er forderte sie auf, ihre Bemühungen fortzusetzen, ohne sich entmutigen zu lassen, „damit diese Stadt für Frankreich, Europa und die Welt ein Mosaik der Hoffnung ist.“ 

Zum Abschluss zitierte Papst Franziskus die Worte von David Sassoli [Mitglied des Europäischen Parlaments der Demokratischen Partei Italiens, verstorben 2022] in Bari am 22. Februar 2020: „Heute spüren wir alle, Gläubige und Laien, das Bedürfnis, dieses Haus wieder aufzubauen, um gemeinsam weiter gegen Götzen zu kämpfen, Mauern einzureißen, Brücken zu bauen und einem neuen Humanismus Gestalt zu verleihen.“ 

„Vergesst die Gastfreundschaft nicht“ 

Am 23. September besuchte der Pontifex das Mittelmeertreffen im Palais du Pharo in Marseille, das nach Bari im Februar 2020 und Florenz im Februar 2022 Versammlungsort war. Er hielt die Abschlussrede vor den Bischöfen des Mittelmeerraums, die sich in Marseille versammelt hatten, um über die Herausforderungen des Mare nostrum nachzudenken. 70 junge Menschen im Alter von 25 bis 35 Jahren aus 25 Ländern entlang des Mittelmeers nahmen daran teil. 

In der ersten Reihe saß der Präsident der Französischen Republik, Emmanuel Macron, und hörte sich die lange, auf Italienisch gehaltene Rede an. Aus der Stadt Phokéenne, der „Hauptstadt der Integration der Völker“, schlug Franziskus einen Plan vor, um aus dem Mittelmeerraum „ein Laboratorium des Friedens“ zu machen, „einen Ort, an dem unterschiedliche Länder und Realitäten auf der Grundlage der Menschlichkeit, die wir alle teilen, zusammenkommen.“ 

Er sprach von Jugendlichen, die „sich selbst überlassen sind, leichte Beute für Kriminalität und Prostitution“, von „ungeborenen Kindern, die im Namen eines falschen Rechts auf Fortschritt zurückgewiesen werden“, von „alleinstehenden älteren Menschen, die mit der fälschlich würdigen Aussicht auf einen sanften Tod geparkt werden, der in Wirklichkeit salziger ist als das Wasser des Meeres“, doch seine Rede konzentrierte sich hauptsächlich auf die Aufnahme von Migranten: „Migranten müssen willkommen geheißen, geschützt oder begleitet, gefördert und integriert werden.“ Denn, so betonte er, „diejenigen, die ihr Leben auf dem Meer riskieren, dringen nicht ein, sondern suchen Gastfreundschaft.“ Er zögerte nicht, zu erklären, dass das Migrationsphänomen keine „momentane Notlage, die immer gut für Panikmache ist, sondern eine Tatsache unserer Zeit“ sei. 

Er wies darauf hin, dass im Norden „Wohlstand, Konsumismus und Verschwendung“ und im Süden „Armut und Unsicherheit“ herrschten. Diesem Umstand müsse durch „weise Voraussicht mit einer europäischen Verantwortung, die in der Lage ist, objektive Schwierigkeiten zu bewältigen“, begegnet werden. 

Der Papst wies darauf hin, dass auch seine Vorgänger zur Aufnahme und zur Solidarität aufgerufen hatten. „Die Kirche spricht seit mehr als fünfzig Jahren dringend davon“, verteidigte er sich und berief sich auf Pius XII. und Paul VI. Franziskus erkannte die Schwierigkeiten bei der Aufnahme an, stellte jedoch klar, dass „das Hauptkriterium nicht die Aufrechterhaltung des Wohlstands sein kann, sondern die Wahrung der Menschenwürde.“ 

In Bezug auf die Bedingungen für die Integration von Menschen wandte er sich gegen eine „sterile Assimilation“: „Die Assimilation, die die Unterschiede nicht berücksichtigt und in ihren Paradigmen starr bleibt, lässt die Idee über die Realität siegen und gefährdet die Zukunft, indem sie die Entfernungen vergrößert und Ghettoisierung, Feindseligkeit und Intoleranz hervorruft.“ 

Es ist gut, so Franziskus weiter, dass Christen nicht an zweiter Stelle stehen, wenn es um Nächstenliebe geht, und dass das Evangelium der Nächstenliebe die Magna Charta der Pastoral ist. Und er hielt fest: „Wir sind nicht dazu berufen, vergangenen Zeiten nachzutrauern oder eine kirchliche Bedeutung neu zu definieren, wir sind zum Zeugnis berufen.“ Insbesondere sollen wir „nicht die Sichtbarkeit messen, sondern uns in der Unentgeltlichkeit verausgaben“. Und er forderte: „Die Kirche soll kein Zoll sein. Lasst uns an den Herrn denken: alle, alle, alle sind eingeladen.“ Schließlich wies Papst Franziskus darauf hin, dass von den 35.000 Studenten in Marseille 5.000 aus dem Ausland kommen. Und er warnte sogleich: „Seien Sie vorsichtig mit dem Predigen so vieler Fundamentalismen, die heute in Mode sind! Gut ausgebildete und auf Verbrüderung ausgerichtete Jugendliche werden unverhoffte Türen zum Dialog öffnen können: (...) „Indem man sich“ mit anderen „vermischt“, kann man viele Barrieren und Vorurteile überwinden.“ 

"Die Lust am Engagement für die Brüderlichkeit wiederentdecken" 

Bevor er im Stade Vélodrome in Marseille vor mehr als 50.000 Gläubigen die Messe feierte, kam Franziskus an und löste auf den von einer riesigen La Ola-Welle animierten Rängen Jubel aus. Er rief aus: „Bonjour Marseille, bonjour la France!“, und eröffnete die Feier auf Französisch, mit Ausnahme der Predigt, die er auf Italienisch hielt. 

Während der Messe, an der auch Präsident Emmanuel Macron teilnahm, prangerte Franziskus die „tragische Ablehnung des menschlichen Lebens an, die heute vielen Menschen, die auswandern, vielen Kindern, die noch nicht geboren sind, und vielen alten Menschen, die verlassen werden, verweigert wird“, während die französische Regierung einen Gesetzentwurf über das Lebensende vorlegen will. 

Er erwähnte nebenbei das „flache, kalte Herz, das sich in einem ruhigen Leben eingerichtet hat und sich in der Gleichgültigkeit einschließt“. Der Pontifex, der von den französischen Bischöfen umgeben war, rief aus: „Auch heute braucht unser Leben, das Leben der Kirche, Frankreich, Europa die Gnade eines Aufbegehrens, eines neuen Aufbegehrens des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung.“ 

Aufbegehren, so erklärte er im Laufe seiner Meditation, bedeute insbesondere, „Christen sein zu wollen, die aufbegehren, vibrieren, das Feuer des Geistes empfangen, um sich von den Fragen von heute, von den Herausforderungen des Mittelmeerraums, vom Schrei der Armen, von den „heiligen Utopien“ der Brüderlichkeit und des Friedens, die darauf warten, verwirklicht zu werden, verbrennen zu lassen.“  

Zum Abschluss seiner Pressekonferenz im Flugzeug nach Hause sagte Papst Franziskus: „Marseille ist eine Kultur der Begegnung. Wie gestern bei der Begegnung mit den Vertretern verschiedener Religionen: Muslime, Juden, Christen, die zusammenleben. Die Koexistenz findet statt. Es ist eine Kultur der gegenseitigen Hilfe. Marseille ist ein kreatives Mosaik, es ist diese Kultur der Kreativität. Es ist ein Hafen, der eine Botschaft in Europa ist. Marseille heißt willkommen, respektiert und schafft eine Synthese, ohne die Identität irgendeines Volkes zu verleugnen. Wir müssen dieses Problem neu überdenken, nämlich für andere Orte mit der Fähigkeit, dies ebenfalls zu tun und zu sein.“