Gerichtsurteil mit unabsehbaren Folgen für die Europäische Union

Quelle: FSSPX Aktuell

Der Palast der Menschenrechte in Straßburg

Am 28. November könnte die Legalisierung der “Sterbehilfe” allen Ländern der Europäischen Union (EU) de jure durch einen einfachen Rechtsakt des „Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“ (EGMR) auferlegt werden. Grund für die mögliche Entscheidung: Der Antrag eines Ungarn, dem seine Regierung die Sterbehilfe verweigert hatte. Wie kann der EGMR seine Sichtweise ganz Europa aufzwingen?

Ein am 10. November von Le Figaro veröffentlichter Artikel sowie ein vor einigen Tagen online gestellter Bericht des „European Centre for Law and Justice“ (ECLJ) geben Aufschluss darüber, wie es dem EGMR gelingen kann, dem gesamten Kontinent seine ideologischen Abwegigkeiten aufzuzwingen. 

Am 28. November soll der EGMR die Klage eines 46-jährigen Ungarns prüfen, der an einer neurodegenerativen Krankheit leidet und dem seine Regierung die Sterbehilfe verweigert. Wenn es nicht anders kommt, werden einige Richter zweifellos entscheiden, dass das Verbot der Sterbehilfe für unheilbar Kranke gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die Entscheidung wird für alle 46 EU-Staaten bindend sein. 

Ein Gerichtshof unter Einfluss „progressiver“ Interessensvertreter 

Der EGMR wurde 1959 gegründet und hat seit 25 Jahren seinen Sitz im Menschenrechtspalast in Straßburg. Das ECLJ, ein lebensbejahender Think Tank, verfolgt die Tätigkeit dieser Institution aufmerksam und hat bereits vor der Voreingenommenheit, der ideologischen Ausrichtung und den vielfältigen Interessenskonflikten gewarnt, die den Gerichtshof durch seine Zusammensetzung charakterisieren. 

Erste Auffälligkeiten im Jahr 2020 

Der ECLJ deckte damals ein strukturelles Problem mit Interessenkonflikten auf. Er zeigte, dass 18 Richter zwischen 2009 und 2019 88 Male über Fälle entschieden, die von sieben NGOs, deren Leiter oder Mitarbeiter sie zuvor waren, eingereicht oder unterstützt wurden. Unter diesen NGOs ragt die Open Society von George Soros heraus, da die Mehrheit der Richter mit ihr verbunden ist und sie die anderen sechs NGOs finanziert. 

Als Reaktion auf diesen Bericht, dessen Wahrheitsgehalt und Fundiertheit anerkannt wurde, schlugen der EGMR und der Europarat Maßnahmen zur Verbesserung der Auswahl, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter des Gerichtshofs sowie der Transparenz der Tätigkeit von NGOs vor. Ein neuer Bericht, der vor acht Tagen veröffentlicht wurde, stellt jedoch fest, dass die Interessenkonflikte zwischen Richtern und NGOs fortbestehen und sogar zugenommen haben. 

In den letzten drei Jahren, von 2020 bis 2022, stellte der ECLJ 54 Situationen fest, in denen Interessenkonflikte bestanden, davon 18 bei Urteilen der Großen Kammer, den wichtigsten Entscheidungen des EGMR. Diese Konflikte betrafen 12 von 46 Richtern des EGMR. Sie saßen 54 Male in Fällen vor, die von der Stiftung oder NGO unterstützt wurden, die sie gegründet oder geleitet hatten oder mit der sie zuvor zusammengearbeitet hatten. 

Dabei handelt es sich um: „Amnesty International“, „Human Rights Watch“, die „Open Society Foundation“, „Interights“, ein „Helsinki-Komitee“ oder eine „Helsinki-Stiftung“, das Londoner „AIRE Centre“ und die „Internationale Juristenkommission“. Hier sind offensichtliche Interessenkonflikte entstanden, die gegen die Grundregeln der richterlichen Berufsethik verstoßen und die Unparteilichkeit des Gerichtshofs in Frage stellen. 

Neben Interessenkonflikten weist der neue Bericht auch auf Probleme in Bezug auf die Unparteilichkeit hin. So sieht der EGMR kein Ablehnungsverfahren vor. Richter veröffentlichen keine Interessenerklärungen und die Bearbeitung von Fällen ist teilweise von extremer Intransparenz geprägt, was das Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigt. Schließlich haben einige Richter ihren Lebenslauf geschönt und verfügen nicht über die erforderliche Qualifikation. 

Das Grundproblem besteht darin, dass der EGMR keiner Kontrolle durch eine gerichtliche Instanz unterliegt, die seine Fehlfunktionen feststellen könnte. Die Regierungen haben diese Kontrolle bisher aus Respekt vor der Unabhängigkeit des Gerichtshofs nicht durchführen wollen. Es ist daher Aufgabe der anderer Berufener, diese Aufgabe der externen Kontrolle und des Whistleblowings zu übernehmen, und genau das hat die ECLJ unternommen. 

Rücksichtsloser Verfechter individueller Freiheiten 

Grégor Puppinck, Doktor der Rechtswissenschaften und Direktor des ECLJ erklärt: „Bei gesellschaftlichen Themen, den Rechten von LGBT, der Anonymität der Samenspende für die künstliche Befruchtung, der Geschlechtsumwandlung beim Standesamt, haben die „progressiven“ Richter alle Entscheidungen durchgesetzt, die sie wollten. Ihr Programm wurde in den letzten zehn Jahren strikt eingehalten.“ 

Die Rechtsprechung des EGMR zur Leihmutterschaft ist bezeichnend. Im Jahr 2014 beantragten verheiratete Männer, die amerikanische Leihmütter in Anspruch genommen hatten, die Anerkennung der Abstammung ihres Kindes, eine Anerkennung, die beispielsweise in Frankreich verboten ist. Der angerufene EGMR entschied zu ihren Gunsten und das Kassationsgericht schloss sich seiner Meinung an, obwohl die Leihmutterschaft in Frankreich nach wie vor verboten ist. 

„Die Urteile des EGMR verurteilen die Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu, sich einem Konzept der individuellen Freiheiten zu unterwerfen, das Vorrang vor dem allgemeinen Interesse hat, wie es von den Völkern definiert wird“, fasst Grégor Puppinck zusammen. 

Die Schlussfolgerung der Untersuchung von Le Figaro über den EGMR ist eindeutig: Der EGMR, der über eine starke richterliche Autorität gegenüber den Mitgliedsstaaten verfügt, schafft es, dem gesamten Kontinent seine ideologische Agenda aufzuzwingen, einen Teil nach dem anderen, von der Leihmutterschaft bis zur Euthanasie.