Polnische Katholiken sehen den Ausgang der Parlamentswahlen mit gemischten Gefühlen

Quelle: FSSPX Aktuell

Donald Tusk

Der 15. Oktober 2023 wird den Katholiken in Polen in Erinnerung bleiben. Mit dem Sieg der Mehrheit bei den Parlamentswahlen beendet der Führer der progressiven, pro-europäischen Koalition die achtjährige Herrschaft der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Dies birgt für die polnischen Katholiken das Risiko, dass das Gespenst der Legalisierung von Abtreibung wieder auftaucht.

Donald Tusk machte das Victory-Zeichen und das aus gutem Grund. Die drei Oppositionsparteien, die Bürgerkoalition, die der ehemalige Präsident des Europäischen Rates anführt, die Christdemokraten des Dritten Weges und die Linke gewannen zusammen 248 der 460 Sitze im Parlament, gegenüber insgesamt 212 Sitzen für die PiS und die Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit,  kurz:  Konfederacja. Die Wahl fand mit einer Rekordbeteiligung von 72,9 Prozent statt. 

„Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, wir haben sie von der Macht vertrieben, (...) das ist das Ende dieser schlechten Zeit, das ist das Ende der Herrschaft der PiS“, rief Donald Tusk gleich nach den ersten Ergebnissen. 

Die katholische Hierarchie erlebte am Tag nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der Parlamentswahlen ein böses Erwachen. Einige Tage vor den Wahlen hatte sich das Episkopat persönlich in den politischen Kampf eingeschaltet und einen Hirtenbrief von der Kanzel verlesen lassen, in dem die polnischen Katholiken aufgefordert wurden, eine „Zivilisation des Lebens“ zu gewährleisten. Denn Donald Tusk hatte während des Wahlkampfes von Anfang an Farbe bekannt. Sollten die Polen für die von ihm geführte Koalition stimmen, würde der Oppositionsführer „sofort“ über einen Entwurf zur Trennung der Kirche vom Staat abstimmen lassen, wobei er die Bischöfe beschuldigte, „Hilfsbeamte der Macht“ geworden zu sein und zur Trennung der Kirche von der polnischen Gesellschaft beigetragen zu haben. 

Der Mann, der von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates war und deshalb ein bekannter und geschätzter Partner in Brüssel ist, hat auch die Absicht, die gesellschaftlichen Gesetze seines Landes an die der Europäischen Union (EU) anzugleichen. Dies insbesondere in der Frage des “freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs”, den er bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legalisieren möchte.  

Zur Erinnerung: Polen ist einer der europäischen Staaten mit den stärksten Gesetzen zum Erhalt einer lebensbejahenden Kultur. Beispielsweise erklärte das Verfassungsgericht des Landes 2020 ein Gesetz aus dem Jahr 1993, das Abtreibungen bei einer schweren und irreversiblen Behinderung oder einer unheilbaren lebensbedrohlichen Krankheit “erlaubt”, für verfassungswidrig. Nach Inkrafttreten des Urteils im Jahr 2021 sind Abtreibungen in Polen in zwei Fällen möglich. Zum einen, wenn eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht und zum anderen im Falle von Vergewaltigung oder Inzest. Die Zahl der legalen Abtreibungen sank im Jahr daraufhin um 90 Prozent. 

Dennoch ist alles noch nicht endgültig entschieden. Um eine Koalitionsregierung zu bilden, müssen sich die Bürgerkoalition (KO), der Dritte Weg und die Linke einigen, was allerdings wahrscheinlich ist, da ihre Führer bereits Absichtserklärungen hierzu abgaben. „Wir werden […] auf die offiziellen Ergebnisse warten (...), dann werden wir uns zusammensetzen, um zu diskutieren und wir werden sicherlich eine Einigung erzielen“, versicherte Donald Tusk. 

Doch selbst wenn Tusk an den Schalthebeln der Macht sitzt, hat er nicht unbedingt gänzlich freie Hand. Die Koalitionsregierung, sollte sie denn zustande kommen, könnte häufig in Konflikte mit dem Präsidenten Andrzej Duda, einem Verbündeten der PiS, geraten. Die Wahlergebnisse haben den Siegern nicht die erforderliche Dreifünftelmehrheit verschafft, um gegen eventuelle Vetos des Präsidenten bestehen zu können. Der Kampf für das Leben wird in Polen weitergehen.