Thomas More oder "Der freie Mann" - von Jean Anouilh

Quelle: Generalhaus

Thomas More und seine Familie

Dieses großartige Stück, das im Todesjahr des Autors (1987) veröffentlicht wurde, stellt einen genialen Abschluss des literarischen Schaffens von Jean Anouilh dar.

Die Geschichte ist wohlbekannt. Der König von England will sich scheiden lassen, aber der Papst verweigert seine Erlaubnis. Heinrich VIII. beschließt daher, die Kirche von England von Rom zu trennen und selbst ihr Oberhaupt zu werden. Jeder Bürger des Landes wird verpflichtet, einen Eid auf dieses Schisma abzulegen, nur wenige sind es, die diesen Eid verweigern. Diese jedoch erwartet die Axt des Henkers.

Thomas More ist einer von ihnen, aber er ist nicht irgendjemand, er ist der Lordkanzler von England. Zutiefst beeindruckt von seiner Intelligenz und seiner Ehrlichkeit schätzt Heinrich VIII. ihn über alle Maßen und unternimmt alles, um den Freund zu überzeugen, aber er scheitert.

 Auch Thomas More zögert manchmal, nicht weil er Zweifel hat, was sein Gewissen und seine Recht anbelangt, aber wie jeden Menschen plagt auch ihn die Angst. Und dennoch:  er überwindet diese Versuchung und findet den Frieden seiner Seele:

Ich habe die Nacht in Angst verbracht, Sohn Roper“ sagte er zu seinem Schwiegersohn. „Wie du weißt, bin ich nicht so mutig. Aber an diesem Morgen ist die Angst verflogen, ich habe keine Angst mehr. Es ist wunderbar, an dieser sonnendurchfluteten Lichtung angekommen zu sein…. Ich bin ein freier Mann.

Margaret, seine geliebte Tochter, besucht ihn im Gefängnis, um ihn zu überzeugen, den Eid zu leisten:

Uns wurde gesagt, wir müssen uns Cäsar unterwerfen.

Das kann den zukünftigen Märtyrer nicht mehr erschüttern:

Was Cäsar gehört, müssen wir ihm geben. Aber wenn Cäsar etwas nehmen will, was ihm nicht gehört, dann muss es einen geben – einer ist fast immer genug – der Nein sagt!

Der freie Mann geht mutig und entschlossen in den Tod und Heinrich VIII. beginnt seinen Rachefeldzug.

Wir finden in diesem Stück Themen, die bereits in „Becket“ und „Antigone“ behandelt wurden: dem Gewissen zu folgen, auch dann, wenn es das eigene Leben kostet, fast übermenschliche Kraft aufzubringen, einem von nahezu allen akzeptierten Übel zu widerstehen. Ein Thema, das offenbar in allen Menschheitsepochen wiederkehrt.

Über den Inhalt des Stückes hinaus ist allein die Reinheit der Sprache von Anouilh faszinierend. Diese Literatur könnte auch ein Anstoß sein, den wunderschönen Film von Fred Zinnemann „Ein Mann für alle Jahreszeiten“ wieder anzusehen, der die Geschichte von Thomas More mit großer Nüchternheit und historischer Genauigkeit erzählt.