Die übernatürlichen Tugenden und Gaben der Mutter Gottes

Quelle: FSSPX Aktuell

Heimsuchung - Magnifikat (Lucca, Toskana)

Leo XIII. sagte in seiner Enzyklika Magnæ Dei Matris über die allerseligste Jungfrau: „Siehe, nun hat uns Gott in seiner Güte in Maria das Vorbild aller Tugenden gegeben, das für uns am ehesten in Reichweite ist.“

Um zu verstehen, in welchem Ausmaß die übernatürlichen Tugenden von Gott derjenigen gegeben wurden, die die Mutter seines Sohnes werden sollte, und wie sehr sie ihre unbefleckte Seele durchdrungen haben, müssen wir uns ansehen, was der heilige Thomas von Aquin über die Tugenden des fleischgewordenen Wortes sagt.

Der Doctor Angelicus erklärt, dass die übernatürlichen Tugenden „wie Ableitungen der Gnade“ sind. Sie leiten sich in der Tat von diesem anfänglichen Prinzip ab, von dieser wunderbaren, von Gott gegebenen Gabe; so wie eine Wirkung von ihrer Ursache stammt.

Der Engelgleiche Lehrer, wie der Heilige Thomas auch genannt wird, fügt hinzu: „Je mehr Vollkommenheit ein Prinzip besitzt, desto mehr strahlt diese Vollkommenheit auf seine Wirkungen ab.“ Das ist nicht schwer zu verstehen: Je mehr Kraft eine Ursache hat - je höher zum Beispiel die Temperatur eines Feuers ist -, desto mehr kann sie ihre Wirkung verbreiten. Für das Feuer gilt: Je heißer es ist, desto mehr vermag es zu erhitzen oder zu verbrennen.

Der heilige Kirchenlehrer fährt fort: „Da die Gnade Christi sehr vollkommen war, mussten die Tugenden, die aus ihr hervorgehen, also alle Kräfte seiner Seele und seine Taten gleichermaßen vollkommen sein. Daraus folgt, dass Christus alle Tugenden besessen hat“ (III, 7, 2).

Die Jungfrau Maria ist das Abbild ihres Sohnes

Diese Überlegungen des Heiligen Thomas können auf Unsere Liebe Frau angewendet werden. Es ist zu beachten, dass sie sowohl auf die eingegossenen Tugenden als auch auf die Gaben des Heiligen Geistes zutreffen, die in einer Seele nach dem Maß seiner Liebe vorhanden sind. Die Theologie würde sagen, dass sie mit den eingegossenen Tugenden „verbunden“ sind.

Wir müssen hier daran erinnern, dass der besondere Vorzug der Gnade der Heiligen Jungfrau von ihrer Würde als Mutter Gottes herrührt, nach der die gewöhnliche Gnade Marias bemessen wird.

Unsere Liebe Frau besaß alle eingegossenen Tugenden und die Gaben des Heiligen Geistes. Besonders hervorzuheben sind:

Der Glaube: „Selig ist die, die geglaubt hat“. Unsere Liebe Frau hatte den Glauben. Sie besaß diese Tugend sogar in höchstem Maße in der Heilsgeschichte, denn ihr göttlicher Sohn besaß sie nicht. Er genoss nämlich vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an die Anschauung Gottes, eine Vision, die den Glauben ausschließt. Sie ist daher unser Vorbild für diese Tugend.

Die Hoffnung. Sie folgt auf den Glauben. Wie bei letzterem besaß sie die größte Hoffnung, denn ihr Sohn hatte die Hoffnung ebenso wenig wie den Glauben: Er besaß bereits die seligmachende Schau.

Liebe: Die Muttergottes besitzt die größte Liebe nach Christus.

Die Mäßigkeit: Unsere Liebe Frau hatte nicht den Stachel der Sünde. Folglich herrschte in ihr die vollkommene Tugend, die Leidenschaften waren ihrer Vernunft unterworfen. Man kann daher nicht von Enthaltsamkeit sprechen, da dieses Wort den Habitus des Willens bezeichnet, der die noch nicht unterworfenen Leidenschaften enthält.

Bußfertigkeit: Diese Tugend bezieht sich auf persönliche Sünden, die es bei Maria nicht gab. Da diese Tugend auch in Christus nicht vorhanden war, war es ein anderer Heiliger, der die höchste Bußfertigkeit besaß.

Die Gaben des Heiligen Geistes herrschten in der heiligen und unbefleckten Seele der Mutter Gottes. Die höchste dieser Gaben, die Weisheit, leuchtete dort besonders hell. Das „Fiat“ ist das weiseste Wort, das je aus dem Mund eines Geschöpfes gekommen ist: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Worte“.

Die Charismen oder freie Gaben Gottes, die für den Aufbau des mystischen Leibes bestimmt sind. Wie bei Christus muss derjenige, der alle Gnade vermitteln soll, alle Gnade besitzen. Unsere Liebe Frau hat die Gnadengaben empfangen, besonders die der Weisheit - in ihrer Betrachtung und durch die Erleuchtung der Apostel nach der Himmelfahrt - und der Prophezeiung, die im Magnifikat veranschaulicht wird: „Alle Geschlechter werden mich seligpreisen“.

Möge die Betrachtung der Tugenden Marias uns dazu bringen, sie nachzuahmen, besonders ihren Glauben und ihre Liebe, die uns inmitten des Abfalls vom Glauben und der Erkaltung vieler leiten werden.